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Crowd Management

Aus BaSiGo - Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen
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Die Begrifflichkeit Crowd Management wird in Deutschland häufig in unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen und in unterschiedlichen inhaltlichen Kontext verwendet. Oftmals sind sowohl die Verwendung und die inhaltliche Ausgestaltung dabei falsch. „Crowd Management“ ist zu einem undefinierten Schlagwort, einem Modewort geworden. Ziel dieses Bausteins ist daher, die Herleitung und die tatsächliche Bedeutung des Begriffes zu erklären Im englischsprachigen Raum existiert die Begrifflichkeit als feststehender Terminus und Planungsansatz schon lange, dort bezeichnet Crowd Management die sorgfältige und systematische Planung für den Menschen in Menschenansammlungen.

Einleitung

Beispiel für Crowd management Strategien während der Einlassphase: basierend auf dem Publikumsproil (sehr junges Publikum, sehr frühe Anreise) wurden entsprechende "portinierte" Wartebereiche aufgebaut, in in Sektoren aufgeilt von Ordnern betreut wurden (Aufrechterhaltung einer ständigen Kommunikation)

Bereits 1980 schrieb die Task Force on Crowd Control and Safety in ihrem Bericht über das Unglück bei einem Konzert der Band The Who, bei dem 1979 11 Menschen ums Leben kamen:

it became increasingly clear that the primary factor in assuring a safe and comfortable environment for large crowds is the planning for their management. There is considerable emphasis in this report on crowd management planning and implementation because the Task Force believes that it is the key to providing safe events

Der amerikanische Planer John Fruin definierte Crowd Management 1993 wie folgt:

the systematic planning for, and supervision of, the orderly movement and assembly of people

Crowd Management wird damit definiert als die systematische Planung für und die Überwachung von einer geordneten Bewegung bzw. Ansammlung von Menschen und beschreibt einen präventiven Planungsansatz, der den Besucher und sein Sicherheits- (Wohl)befinden in den Mittelpunkt stellt.

Als primäre Ziele des Crowd Managements definiert Fruin (1993) das Verhindern des Aufbaus von großem Druck sowie unkontrollierter Bewegungen von bzw. in Menschenmengen. Crowd Management beschäftigt sich also mit der systematischen Planung von Flächen und Infrastrukturen etc. in Beziehung zum Besucher und dessen erwarteten Verhalten unter Berücksichtigung seiner Einbettung in die komplexe Umwelt auf Veranstaltungen. Im Gegensatz zu den meisten in Deutschland vorherrschenden Schutzzielen, die die sichere Räumung oder Evakuierung im Schadenfall in den Vordergrund stellen, ist Crowd Management ein präventiver und proaktiver Ansatz, der sich nicht mit dem Schadenfall, sondern mit der Normalsituation von Veranstaltungen auseinandersetzt. In Abgrenzung hierzu existiert die Begrifflichkeit Crowd Control, die die Reaktion auf ein entstehendes oder bereits bestehendes Problem mit dem Menschen beschreibt. [1]

Natürlich müssen auch diese Maßnahmen detailliert vorgeplant sein – Notfallplanung und Szenarien mit den entsprechenden Crowd Control Maßnahmen sind daher immer ein wichtiger Bestandteil eines Crowd Management Plans. Fruin (1993) betont hier zu Recht:

Inappropriate or poorly managed control procedures have precipitated crowd incidents rather than preventing them

Betrachtet man die großen Unglücke im Rahmen von Veranstaltungen finden sich häufig Versäumnisse im Bereich der Organisation und des Managements, der Kommunikation oder auch schlicht die Vernachlässigung der Besonderheiten individueller Veranstaltungen. Zu den Auslösern von Unglücken bei Veranstaltungen gehören zum Beispiel

  • unzureichende Kommunikation und ungenaue Absprachen
  • unklare Verteilung von Verantwortlichkeiten
  • fehlendes Risikomanagement / fehlende Risikoanalysen
  • Fehlen eines „Plan B“
  • Vernachlässigung von Bereichen oder Phasen der Veranstaltung

Dass sich in vielen Fällen die Ereignisse durch eine sorgfältigere Planung hätten vermeiden lassen, stellte Fruin bereits 1993 fest:

Most major crowd disasters can be prevented by simple crowd management strategies.

Ausgehend also von der Frage, welche Faktoren zum Entstehen von Unglücken geführt haben, lässt sich auch erklären, welches die Faktoren sind, die Einfluss auf die Sicherheit des Besucher bei Veranstaltungen haben. Fruin hat diese Faktoren im FIST Modell wie folgt zusammen gefasst:

Force – Druck
Information - Information & Kommunikation
Space – Der Bewegungsraum des Besuchers incl. Infrastruktur
Time – Die zeitlichen Dimensionen der Raumnutzung

Hierauf basierend lassen sich Anforderungen in Bezug auf die Planung ableiten. Der Cincinnnati Report schreibt bereits 1980:

Crowd management must take into account all the elements of an event especially the type of event (circus, sporting, theatrical, concert, rally, parade, etc.), characteristics of the facility, size and demeanor of the crowd, methods of entrance, communications, crowd control, and queueing. As in all management, it must include planning, organizing, staffing, directing and evaluating. Particularly critical to crowd management is defining the roles of parties involved in an event, the quality of the advance intelligence, and the effectiveness of the planning process.

Im Rahmen einer präventiven Sicherheitsplanung sind also unter anderen mindestens folgende Faktoren zu klären:

  • Veranstaltungsart und die daraus resultierenden Besonderheiten
  • Besucherprofil: Geschlecht, Altersverteilung, erwartetes Verhalten ...
  • An- & Abreisemodalitäten: wann, womit, woher...
  • Anzahl und Verteilung: Gesamt und in Phasen (Maximalauslastung temporär / lokal)...
  • Flächennutzung: vorhandene Flächen (am Einlass / im Veranstaltungsgelände / am Auslass, Fluchtwege, Entlastungsflächen etc.), Nutzung & Auslastung dieser Flächen...
  • Zur Verfügung gestellte Infrastruktur : Abschrankungen, Bühnen, Tribünen, Sanitär ...
  • Organisationsstrukturen : Prozedere (z.B. Kontrollprozedere), Personal, Rollen & Verantwortlichkeiten ...
  • Information & Kommunikation: vor und während der Veranstaltung)

Der britische Forscher Keith Still hat hierzu die sog. DIM-ICE Meta-Matrix entwickelt, die ein einfaches, aber effektives Erklärungsmodell hierfür bietet. Still (2014) definiert drei zentrale Einflussfaktoren auf den Menschen:

  • Design,
  • Information,
  • Management.

Diese Faktoren müssen für die unterschiedlichen Phasen einer Veranstaltung, d.h.

  • die Anreise- / Einlassphase (ingress),
  • die Anwesenheitsphase (circulation) und
  • die Auslass- / Abreisephase (egress)

individuell geplant werden.

Alle drei Einflussfaktoren müssen in allen Phasen berücksichtigt werden – und dies sowohl in einer Normallage als auch in einer Schadenlage (Notfall). Die Anreise- und Einlassphase ist dabei gekennzeichnet durch Fragen zu den Zugangswegen zum Veranstaltungsgelände, der Anordnung der Parkbereiche oder der ÖPNV Verkehrsknotenpunkte, den Platzbedarf der wartenden Menge, die Durchlasskapazitäten der Eingänge (oder der Einlassschleusen, wenn vorhanden), die notwendigen Informationen der Wartenden und Anreisenden sowie die Organisation der Warteschlangen. Die Anwesenheitsphase wird bestimmt durch die Bewegungen der Besucher auf der Veranstaltungsfläche. Menschen bewegen sich aus vielen Motivationen, z.B. um beste Sicht zu erlangen, nahe an der gewünschten Attraktion zu sein oder Freunde zu finden uvm. Hierzu benötigen sie Informationen über Standorte, Abläufe, Programme oder Preise. Die Bewegungen müssen gelenkt werden, entweder durch das Geländedesign selbst (Wegeführung), durch aktive Lenkungsmaßnahmen oder zum Beispiel eine gezielte Steuerung des Bühnenprogramms (versetzter Anfang etc.).

Insbesondere für die Auslassphase von Veranstaltungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt enden, bzw. die über einen programmatischen Höhepunkt verfügen, nach dem eine Vielzahl von Personen das Gelände verlassen (z.B. nach einem Feuerwerk) müssen besondere Maßnahmen getroffen werden, um die dann einsetzenden Bewegungen des Publikums in geeigneter Weise zu lenken. Maßnahmen für ein Verlassen einer Veranstaltungsfläche in Normalsituationen werden nur selten beschrieben – obwohl es gerade hier auch zu schwierigen bis kritischen Situationen kommen kann: alle Besucher, die das Veranstaltungsgelände über einen längeren Zeitraum hinweg betreten haben, wollen dieses Gelände nun in kürzester Zeit verlassen, d.h., dass die Auslässe häufig eine hohe Personenkapazität in kurzer Zeit bewältigen müssen. Dazu kommt, dass die Besucher in dieser Phase oftmals müde, erschöpft und / oder betrunken sind, die Umgebung durch veränderte Sichtverhältnisse anders erscheint und dadurch der Informations- und Lenkungsbedarf deutlich höher ist als zu Beginn einer Veranstaltung.

Insgesamt ergibt sich die folgende Matrix:[2]

DIM-ICE Matrix nach Keith Still (2014)

Alle Faktoren werden systematisch miteinander in Beziehung gebracht und können leicht auf Vollständigkeit geprüft werden.

Besucherstruktur und -verhalten

Erläuterungstext/Motivation für Besucherstruktur und -verhalten

Bewegungsverhalten

Erläuterungstext/Motivation für Bewegungsverhalten

Gefahrenprävention

Erläuterungstext/Motivation für Gefahrenprävention

Fürsorgestrukturen

Erläuterungstext/Motivation für Fürsorgestrukturen

Literatur

  • Fruin, John J. (2002): The causes and prevention of crowd disasters. Originally presented at the First International Conference on Engineering for Crowd Safety, London, England, March 1993.
  • Wertheimer, P.: Crowd Management. Report of the Task Force on Crowd Control and Safety. Cincinnati, July 1980.
  • Runkel, Simon / Pohl, Jürgen (2012): Crowd management als Planungsaufgabe. Eine sozialgeographische Perspektive auf Masse und Raum bei Großveranstaltungen. In: Geographische Zeitschrift, Band 100, Heft 4, S. 189-207.

Einzelnachweise

  1. Fruin, 1993
  2. Still, 2014