Bitte beachten Sie: Diese archivierte Version des BaSiGo-Wikis wird nicht mehr aktualisiert. Das BaSiGo-Wiki wurde im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes 'Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen' (BaSiGo) entwickelt und stellt den Stand zum Projektende im Juni 2015 dar.

Besucherstruktur und -verhalten

Aus BaSiGo - Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Hinführung zum Thema

Das Profil des erwarteten Publikums ist einer der wesentlichen Faktoren, den es zu kennen gilt, um Veranstaltungen sicher planen und durchführen zu können. Aussagen wie „mit so vielen Menschen haben wir nicht gerechnet“ oder „dieses Verhalten konnten wir nicht erwarten“ lassen sich zwar nicht immer vermeiden, sollten durch eine genaue Analyse des zu erwarteten Publikums jedoch so weit wie möglich vermieden werden.

Einleitung

Ob Autogrammstunde, Opernveranstaltung oder mehrtägiges Open-Air-Festival – jede Veranstaltung birgt Besonderheiten in Bezug auf das erwartete Publikum. Diese Besonderheiten müssen berücksichtigt werden, um eine sichere und für alle Beteiligten zufriedenstellende Veranstaltung zu planen und durchzuführen. Es ist wichtig, sich mit der Frage zu beschäftigen, was der Besucher von der Veranstaltung erwartet - eine Frage, deren Beantwortung wesentliche Auswirkungen auf die für die Veranstaltung zu formulierenden Schutzziel hat. Aus baurechtlicher Sicht spielt die Frage nach dem Besucherprofil keine Rolle: Standardmaße für Standardwege und –türen lassen keine individuelle Betrachtung der Nutzer dieser Türen und Wege zu. Für die Zurverfügungstellung angemessener Infrastruktur, geeigneten Personals oder der richtigen Kommunikationswege ist es jedoch unumgänglich, Besonderheiten zu erkennen und Unterscheidungen zu machen. Veranstaltungen können nur dann sicher geplant und durchgeführt werden, wenn die zur Verfügung gestellten Materialien, Wege, Flächen, Prozedere etc. angemessen sind in Bezug auf den jeweiligen Nutzer dieser Materialien, Wege, Flächen oder Prozedere Crowd Management. . Um ein Publikumsprofil zu erstellen, sind alle geeigneten Informationskanäle hinzuzuziehen – – dies kann reichen von der Erfahrung anderer Veranstalter bis hin zu Facebook und / oder YouTube Auftritten. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich – insbesondere aufgrund kultureller Unterschiede - nicht jedes Profil einfach übertragen lässt.


Demographische Faktoren

Das Alter, aber auch das Geschlecht oder die Nationalität der erwarteten Besucher hat direkten Einfluss auf die Planung von Veranstaltungen. In Bezug auf das Alter ist vor allem dann Aufmerksamkeit geboten, wenn das Publikum besonders jung oder besonders alt ist - wobei die Festlegung, was im konkreten Fall „besonders“ bedeutet, ebenfalls immer individuell zu treffen ist. Allgemein lässt sich feststellen, dass sowohl die Anwesenheit von Kindern (gem. JuSchG § 1 bis 14 Jahre) also auch die Anwesenheit von Jugendlichen (14-18 Jahren) einen besondere Herausforderung bei der Planung der Veranstaltung darstellt Jugendschutz. Weniger einfach ist es, das Alter „nach oben“ zu bewerten: ab wann jemand „besonders gebrechlich“ oder auch nur „besonders langsam“ ist, lässt sich nicht verallgemeinernd darstellen – eine genaue Beobachtung der Zielgruppe ist umso notwendiger. Dennoch wird man bei aller Schwierigkeit der Einschätzung nicht umhinkommen festzustellen, dass „ältere“ Menschen besondere Aufmerksamkeit und damit eventuell besondere Infrastrukturen, Personalkapazitäten oder Prozedere bedürfen. Die Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen bei Veranstaltungen bedeutet ggfs. das Einhalten besonderer Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes, aber auch oftmals die Bewältigung emotionaler Herausforderungen („Teenie-Band Hysterie“), Unerfahrenheit mit Veranstaltungsabläufen oder zusätzliche Kapazitätsbedarfe für die begleitenden Eltern. Zu berücksichtigende Faktoren in Bezug auf das Alter der Besucher sind:

  • keine eigenständigen Orientierungsmöglichkeiten (Kinder),
  • emotionales Verhalten (Jugendliche),
  • Unerfahrenheit (Mangelhafte Vorbereitung, falsches Verhalten)(Jugendliche),
  • Zusätzliche „Kiss & Ride“ Kapazitäten (Kinder / Jugendliche),
  • Fixierung auf bestimmte Kommunikationswege (Jugendliche),
  • Ausdehnung der Veranstaltungszeiten (sehr frühe Anreise)(Jugendliche),
  • Weniger Toleranz gegenüber Abweichungen (Ältere),
  • Sinkende körperliche Fitness (Ältere),
  • Mobilitätseinschränkungen (z.B. durch Gehhilfen)(Ältere),
  • Unerfahrenheit mit bestimmten („modernen“) Kommunikationswegen.

In Bezug auf das Geschlecht sind die Auswirkungen insbesondere infrastrukturell in Bezug auf die Toilettenkapazitäten relevant.

In Bezug auf die Nationalität ergeben sich besondere Anforderungen – neben den jeweiligen kulturellen Besonderheiten - insbesondere an die Kommunikationswege und die Sprache der gegebenen Informationen (sowohl schriftlich, z.B. auf Beschilderungen als auch mündlich bei Durchsagen oder auch direkter Ansprache durch Ordnungskräfte). Auch können sich durch die Nationalität bestimmte Gefährdungsfaktoren ergeben, z.B. durch die Anwesenheit von Vertretern verfeindeter Nationen.

Erwartete Besucherzahl und Verteilung der Besucher auf dem Gelände

Nicht erst seit es eine Reihe von Autogrammstunde in die Medien geschafft haben, weil der Andrang die zur Verfügung stehenden Kapazitäten bei weitem überstiegen hat, ist das Thema „erwartete Besucherzahl“ und „tatsächliche Besucherzahl“ ein relevanter Bewertungsfaktor. Es ist unumgänglich, dass für Veranstaltungen mit einer begrenzten Personen- und Platzkapazität einen Betrachtung angestellt wird, ob diese Kapazität eingehalten werden kann und welche Maßnahmen hierfür nötig sind. In diesem Punkt ergibt sich häufig eine Diskrepanz in Bezug auf die Kommunikation der erwarteten Besucherzahlen – ein realistischer Umgang mit tatsächlichen Einschätzungen und realistischen Zahlen muss dabei die grundlegende Forderung in Bezug auf die Sicherheitsplanung bleiben. Neben der absoluten Besucherzahl ist die Verteilung der Besucher auf dem Gelände und rund um das Gelände ebenfalls von Bedeutung. Auch die Antwort auf die Frage, wann wie viele Menschen aus welcher Richtung zum Veranstaltungsgelände kommen, ist wichtig in Bezug auf die Berechnung von zur Verfügung gestellten Flächenkapazitäten, notwendigen Durchflussraten der Eingänge etc. Ebenfalls wichtig für die Sicherheitsplanung der Veranstaltung ist die Beantwortung der Frage, wo auf dem Veranstaltungsgelände sich wie viele Menschen zu welchem Zeitpunkt aufhalten – sind die Besucher alle gleichzeitig auf dem Gelände? Gibt es besondere (zeitliche) Attraktionen, die eine große Menge Besucher zu einem bestimmten Zeitpunkt in einen bestimmten Bereich lockt? Die Erstellung eines Besucherprofil im Hinblick auf die Flächennutzung kann helfen, Engstellen oder Stauungen zu vermeiden.

Besucher mit speziellen Bedürfnissen

Während Vorkehrungen für Nutzerinnen und Nutzer von Rollstühlen auch bei Veranstaltungen außerhalb von Versammlungsstätten gängige Praxis sind, ist das Zurverfügungstellen geeigneter Strukturen z.B. für blinde Besucher außerhalb fester Veranstaltungsstätten eher selten. Beschilderungen in Braille Schrift oder auf dem Boden eingebrachte Leitsysteme finden sich nur selten, auch Räumungsprozedere betrachten diese spezielle Zielgruppen oftmals nicht. Ob zusätzliche akustische oder visuelle Unterstützung, barrierefreie Homepages oder die Verwendung leichter Sprache - die moderne Veranstaltungswelt wird sich in Zeiten, in denen Menschen mit eingeschränkten Wahrnehmungen oder anderen besonderen Bedürfnissen selbstverständlich auch am Freizeiterlebnis "Veranstaltung" teilnehmen, den damit einhergehenden Herausforderungen für die Umsetzung insbesondere bei temporären Veranstaltungsräumen stellen müssen.

An- und Abreiseprofil

Jedes Publikum hat sein besonderes An- und Abreiseprofil, das im Rahmen der Planung der Veranstaltung berücksichtigt werden muss. Sowohl für die Planung der Parkflächen, der Kapazitäten des Öffentlichen Personennahverkehrs aber auch für die Gestaltung der Einlassbereiche ist es wichtig, möglichst viele Informationen über die Art und den Zeitpunkt der An- & Abreise in die Planung mit einfließen zu lassen. Bei einem jugendlichen Publikum zum Beispiel kommt es häufig zu einer frühen Anreise verbunden mit einer entsprechend frühen Belegung der Wartebereiche vor den Einlässen und den dann ggfs. erforderlichen Personalkapazitäten und Fürsorgestrukturen. Werden hauptsächlich minderjährigen Besucher von ihren Eltern gebracht und abgeholt, stellt dies insbesondere bei der Abreise eine besondere Herausforderung dar, da der Abreiseverkehr oftmals mit dem Anreiseverkehr der abholenden Eltern zusammenfällt und umfangreiche Vorkehrungen für ein Zusammenführen zwischen den Abholenden und den Abzuholenden (z.B. die Einrichtung spezieller Parkflächen mit - z.B. nach Buchstaben - geordneten Wartebereichen) nötig macht. Bei Großveranstaltungen ist darüber hinaus häufig festzustellen, dass die abzuleistenden Wege und Strecken zwischen Parkplatz und Veranstaltungsort oftmals unterschätzt werden, entweder aus einer generellen Unkenntnis der „Großveranstaltungssituation“) oder aber, weil Veranstaltungen aus ihrem normalen Kontext heraus in eine Großveranstaltungsszenario transferiert werden (z.B. Oper in einer großen Arena) und der Besucher mit seinen „normalen“ Veranstaltungserwartungen oftmals vollkommen überfordert mit den vorgefundenen Dimensionen ist. Mehr und mehr wird auch das Thema „Fahrradverkehr“ ein relevantes Thema für Veranstaltungen. Fehlen geeignete Abstellplätze, werden Fahrräder mit in das Veranstaltungsgelände genommen, in, vor und hinter Flucht- und Rettungswegen festgekettet, quer zum Publikumsfluss abgestellt etc. Gerade bei innerstädtischen Veranstaltungen ist es aufgrund der ohnehin eingeschränkten Platzressourcen wichtig, sich dieser Herausforderung bewusst zu sein und der Problematik entsprechend aktiv zu begegnen.

Erwartetes Verhalten

Das Verhalten des Besuchers ist nicht immer leicht einzuschätzen: was hier vermeintlich "gefährlich" oder "chaotisch" aussieht, ist Teil eines zielgruppenspezifischen choreographierten Rituals. In den meisten Fällen gibt das an solchen Aktionen beteiligte Publikum gut aufeinander acht (gegenseitiges Aufhelfen etc.) Photo: Rheinkultur GmbH / Marc Nowak
Photo: Rheinkultur GmbH / Marc Nowak
Photo: Rheinkultur GmbH / Marc Nowak

Zur Sicherstellung geeigneter Maßnahmen ist wichtig, das erwartete Verhalten des Publikums zu betrachten – insbesonder auch in Verbindung mit dem erwarteten Verhalten des Künstlers. Ist eine hohe Dynamik zu erwarten? Und wenn ja – gehen von dieser hohen Dynamik Gefährdungen aus (für die Beteiligten und für Andere?) Ist zu erwarten, dass sich alle an die Regeln halten? Sind Auseinandersetzungen bis hin zu Schlägereien zu erwarten? Gründe hierfür können vielfältig sein: von verfeindeten Besuchergruppen bis hin zu einem (zu) hohen Alkohol- und/oder Drogenkonsum. Werden (lange) Wartezeiten toleriert?

Aus der Betrachtung des erwarteten Verhaltens resultieren vielfache Anforderungen an die Planung & Durchführung der Veranstaltung: von der Auswahl geeigneter Infrastruktur (z.B. Abschrankungen und deren notwendige Druckstabilität) über die Anzahl und die Erfahrung des eingesetzten Personals (nicht jede Dynamik innerhalb einer Besuchermenge ist gleich gefährlich und erfordert sofortiges Eingreifen) bis hin zu einer Änderung des geplanten Programms.




Autorin: Sabine Funk (IBIT GmbH)