Bitte beachten Sie: Diese archivierte Version des BaSiGo-Wikis wird nicht mehr aktualisiert. Das BaSiGo-Wiki wurde im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes 'Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen' (BaSiGo) entwickelt und stellt den Stand zum Projektende im Juni 2015 dar.

Räumung und Evakuierung

Aus BaSiGo - Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Zusammenfassung

Die Begrifflichkeiten „Räumung“ und „Evakuierung“ werden häufig synonym verwendet, bezeichnen aber nicht vollständig das Gleiche: Eine Evakuierung „ist die organisierte Verlegung von Menschen aus einem akut gefährdeten in ein sicheres Gebiet (...), wo sie vorübergehend untergebracht, verpflegt und betreut werden.“ (nach [1]) Eine Räumung hingegen „bezeichnet […] das ungeplante und kurzfristige Verlassen eines Gebietes bei akuter Gefahr“ (nach [1]).

Einleitung

Obwohl die Begrifflichkeiten „Räumung“ und „Evakuierung“ in der Veranstaltungspraxis häufig synonym verwendet werden, werden in der Szenarienplanung des Sicherheitskonzeptes durchaus die mit den eigentlichen Definitionen einhergehenden Trennungen unternommen. So finden sich in den meisten Konzepten die Unterscheidung zwischen „geplant“ und „ungeplant / plötzlich“. Aus diesem Grund werden die Begrifflichkeiten im Rahmen dieses Bausteins im Sinne der oben genannten Definitionen verwendet, darüber hinau jedoch veranstaltungsspezifisch ergänzt. Der Sicherheitsbaustein beschäftigt sich mit

  1. der spontanen Räumung im Sinne der o.g. Definition
  2. der geplanten Räumung ohne das Zur-Verfügung Stellen eines sicheren Ortes
  3. der Evakuierung im Sinne der o.g. Definition.

Alle drei Fälle können sich auf das gesamte Veranstaltungsgelände beziehen oder auf Teilbereiche (Teil- bzw. Gesamträumung).

Evakuierungen finden sich im Veranstaltungskontext insbesondere bei mehrtägigen Veranstaltungen, wenn z.B. aufgrund von Schlechtwetterereignissen Campingplätze nicht mehr benutzbar sind [1].

Mögliche Anlässe für eine spontane Räumung können u.a. sein

  • Plötzliches Schlechtwetterereignis (Wetterbedingte Störungen)
  • Brand (Brandgefahren)
  • Auffinden eines verdächtigen Gegenstandes
  • Explosion
  • Zusammenbruch einer Struktur

Mögliche Anlässe für eine geplante Räumung oder eine Evakuierung können u.a. sein:

  • Angekündigtes Schlechtwetterereignis (Wetterbedingte Störungen)
  • Auffinden eines verdächtigen Gegenstandes (Besondere politische Lage)
  • Bombendrohung (Besondere politische Lage)

Planung

Die Planung eines Szenarios "Räumung" ist regelmäßiger Bestandteil von Sicherheitskonzepten. Eine Räumung bzw. Evakuierung geht meist einher mit dem Abbruch oder zumindest der Unterbrechung der Veranstaltung und ist immer nur ein nachgelagertes Szenario, das erst dann eintritt, wenn andere Möglichkeiten bereits ausgeschöpft wurden (z.B. wird das Risiko einer Räumung oder Evakuierung aufgrund eines Schlechtwetterereignisses durch Faktoren minimiert, die bereits während der Planung für die Minimierung von Wetterauswirkungen berücksichtigt werden). Das Szenario selbst muss intensiv im Rahmen der Notfallplanung vorgedacht werden. Insbesondere sind Verantwortlichkeiten, Kommunikationswege, notwendige Ressourcen und Zeitabläufe im Vorfeld zu berücksichtigen und festzulegen. Die Planung für das Szenario Räumung oder Evakuierung muss immer interorganisational erfolgen, da es sich um ein Szenario mit umfassenden Auswirkungen auf (fast) alle an der Planung und Durchführung der Veranstaltung Beteiligten handelt. Wichtige Aspekte, die im Rahmen der Planung zu klären sind, sind insbesondere:

  • Auslösekriterien: was sind die Gründe für eine geplante / spontane Räumung oder eine Evakuierung?

Welche Informationsquellen stehen für die Beurteilung der Lage zur Verfügung?

  • Konsequenzen der Entscheidung: Es ist zu prüfen, welche Konsequenzen die Räumung hat – hieran sind die Maßnahmen zu messen und Schutzziele gegeneinander abzuwägen. Die Räumung eines Veranstaltungsgeländes wegen Unwetters ist nur dann sinnvoll, wenn entweder sichere Plätze in unmittelbare Nähe zur Verfügung stehen oder wenn die Entscheidung mit so viel Vorlauf erfolgt, dass alle Besucher sichere Plätze erreichen können. Die Besucher nur vom Veranstaltungsgelände in den öffentlichen Verkehrsraum zu schicken, ist in Bezug auf das Erreichen des Schutzziels nicht sinnvoll, da das eigentliche Ziel nicht erreicht wird und durch die plötzliche Belastung des öffentlichen Raums oder z.B. des Nahverkehrs zusätzliche Gefährdungen (z.B. Drängeleien an den Haltestellen) entstehen können.
  • Verantwortlichkeiten: Da es sich um eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen handelt, müssen Verantwortlichkeiten insbesondere in Bezug auf „wer entscheidet“ zwingend geklärt werden.

Insbesondere der Fall „Räumung“ (oftmals einhergehend mit dem Abbruch) der Veranstaltung aufgrund einer Unwetterlage bietet immer wieder Raum für Diskussionen in Bezug auf den Entscheider und ist daher zwingend im Rahmen der Planung detailliert zu besprechen.

  • Einzubindende Akteure: Es muss geprüft werden, wer von der Entscheidung betroffen ist. Neben den Akteuren auf dem Veranstaltungsgelände selbst sind dies regelmäßig die Verkehrsbetriebe oder auch – sofern nicht im Rahmen einer Koordinierungsgruppe vor Ort – Feuerwehr und Polizei.
  • Umsetzung: Wird aktiv geräumt, d.h., werden die Besucher aktiv vom Veranstaltungsgelände gelenkt oder werden nur z.B. Durchsagen gemacht, die die Besucher zum Verlassen des Geländes auffordern?
  • Abläufe und zeitliche Faktoren: In Verbindung mit den Auslösekriterien ist festzulegen, wann Entscheidungen getroffen werden müssen. Hierzu braucht es die Kenntnis der wesentlichen zeitlichen Faktoren, z.B:
    • Wie lange dauert es, bis das Veranstaltungsgelände / das Zelt etc. geleert ist, d.h. wann müssen z.B. bei Auftreten einer schweren Unwetterwarnung spätestens Entscheidungen getroffen werden?
    • Wie lange dauert es, bis die Räumungskräfte ihre Positionen eingenommen haben?
    • Wie lange dauert es, bis externe Unterstützung vor Ort ist?
  • Kommunikation: es ist zu prüfen, wann und wie welche Informationen gegeben werden
    • Welche Mittel stehen für die Information der Besucher zur Verfügung (Beschallungsanlagen, Videowände, Megaphone, persönliche Ansprache etc.)?
    • Wie werden Besucher, die sich noch nicht auf dem Veranstaltungsgelände befinden, informiert (Hörfunk, Social Media, Bahndurchsagen etc.)?
    • Welche Bereiche können beschallt werden (z.B. über die Bühne), welche nicht?
    • Wer übernimmt die Information der Besucher? Diese Frage ist insbesondere dann relevant, wenn keine flächendeckende Informationsmöglichkeit gegeben ist, bzw. wenn es weder einen Ordnungsdienst noch z.B. einen Bühnenmoderator gibt (z.B. Märkte). In diesem Fall ist zu prüfen, inwieweit andere Akteure (Schausteller, Standbetreiber etc.) mit in die Weitergabe der Informationen eingebunden werden können.
    • Wie werden die Durchsagen gemacht? Persönlich oder vorformuliert?
    • Welche Durchsagen werden gemacht?
    • Wie verläuft die (Vorab-)Information der beteiligten Akteure?
  • Ressourcen:
    • Personal: es ist zu prüfen, ob die Räumung mit dem vorhandenen Personal umgesetzt werden kann oder ob ggfs. zusätzliches Personal benötigt wird. Hierzu zählt auch die Unterstützung durch externe Kräfte. Besonders wichtig ist die Klärung dieser Frage bei Veranstaltungen, bei denen kein Ordnungsdienst vor Ort ist (z.B. Märkte). In diesem Fall ist zu prüfen, inwieweit die vorhandenen Akteure (Zeltbetreiber, Aussteller etc.) verantwortlich in den Prozess eingebunden werden können.
    • Material: es ist zu prüfen, ob zusätzliches Material (z.B. Megaphone, Leucht-/ Winkelemente etc.) benötigt wird, wo dieses gelagert ist und wie das Material zu den die Räumung unterstützenden Kräften gelangt.
    • Flächen: es ist zu prüfen, welche Flächen im Falle einer Räumung und insbesondere einer Evakuierung genutzt werden können:
      • Stehen bei mehrtägigen Veranstaltungen z.B. Turnhallen für die Evakuierung eines Campingplatzes zur Verfügung?
      • Stehen für die Besucher sichere Plätze zur Verfügung?
      • Stehen – besonders für den Fall der Teilräumung - Entlastungsflächen zur Verfügung?
      • Sind Richtungen festgelegt für die Räumung und die eventuell notwendige Anfahrt von Einsatz-/ Rettungsfahrzeugen? Es muss verhindert werden, dass die Besucher ggfs. sogar aktiv in die Richtung gelenkt werden, aus der die Einsatzkräfte anfahren.

Durchführung

Kommt es zu einer Entwicklung (z.B. Wetterlage) oder einem plötzlichen Ereignis, das die (Teil-)Räumung des Veranstaltungsgeländes nötig macht, sind die vorgeplanten Schritte umzusetzen. Dies setzt die Kenntnis der Abläufe und das Vorhandensein der Ressourcen voraus. In allen Fällen muss sichergestellt werden, dass die Besucher über den Anlass informiert werden und die Veranstaltung erkennbar abgebrochen wird (Einstellen des Betriebs der Gastronomiestände/ Angebote / Attraktionen). Bei einer nur lokalen Räumung muss durch geeignete Maßnahmen (Absperrungen durch Kräfte des privaten Sicherheits- und Ordnungsdienstes ggfs. unterstützt durch Polizei) sichergestellt werden, dass die Besucher bis zum Eintreffen der Polizei oder der Feuerwehr bzw. des Rettungsdienstes das geräumte Gelände nicht weiter betreten können. Die Besucher sollen an diesen Stellen aktiv umgeleitet werden – wenn möglich unter Nennung der Ursache (um Gerüchtebildung zu vermeiden). Bei der Auswahl der Sperr- bzw. Umleitungsstellen ist darauf zu achten, dass die Besucher abbiegen können (d.h. kein Richtungswechsel um 180° zur Vermeidung von Gegenverkehr). Im Falle einer geplanten Räumung werden im Rahmen der Stand-by Phase (ca. 10 -20 Minuten) unten stehende Vorbereitungen für die Durchführung getroffen. Bei spontanen Räumungen sind die Maßnahmen im Verlauf der Räumung selbst umzusetzen.


Stand-By Phase

  • Verifizierung Entscheidungsstrukturen, persönliche Absprache: Koordinierungsgruppe (wenn vorhanden), Veranstaltungsleitung, Ordnungsdienst, Polizei, Feuerwehr, Sanitätsdienst, Genehmigungsbehörde
  • Sicherstellen der freien Begehbarkeit der anliegenden Flächen und Straßen (nach Möglichkeit), Wegräumen von Hindernissen
  • Vorbereiten von Flächen (Freiräumen oder Aufbau zusätzlicher Infrastrukturen (z.B. druckmindernde Elemente)
  • Auswahl der durchzusagenden Meldung
  • Information der Mitarbeiter / beteiligter Akteure, Verteilen konkreter Aufgaben
  • Positionierung Ordnungsdienst, Polizei, Feuerwehr, Sanitätsdienst gem. jeweiligem Einsatzkonzept

Die Realisierung des „Stand-by“ Zustandes wird durch die Beteiligten an die Veranstaltungsleitung gemeldet, die (mit Unterstützung durch den Ordnungsdienst) die Räumung einleitet.

Dokumentation

Alle Entscheidungen und Maßnahmen sind zu dokumentieren – nach Möglichkeit unmittelbar, ansonsten jedoch zeitnah nach der Abarbeitung des Ereignisses.

Nachbereitung

Ereignisse wie eine (Teil-)Räumung sind immer interorganisational nachzubereiten. Abläufe müssen in Bezug auf die Übereinstimmung mit der Planung geprüft werden, Abweichungen müssen begründet werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Überprüfung der Zusammenarbeit der beteiligten Akteure. Es ist zu prüfen, inwieweit Änderungen im Sicherheitskonzept einer regelmäßigen Veranstaltung notwendig sind oder Erkenntnisse auch für andere Veranstaltungen gezogen werden können. Im Rahmen der Nachbereitung ist es hilfreich, in den jeweiligen Foren (Social Media etc.) auch die Meinungen der Besucher miteinzubeziehen. Auch wenn diese – gerade nach einem solchen Ereignis – subjektiv und zumeist negativ sind (Beschwerden werden regelmäßig schneller „gepostet“ als Lob), kann man aus der Auswertung der Eindrücke der Besucher dennoch wichtige Informationen ziehen, die in die Nachbereitung miteinspielen müssen. Zum Beispiel kann sich die Frage ergeben, warum eine Räumung, die im Verständnis der beteiligten Akteure „vorschriftsgemäß“ abgelaufen ist, von den Besuchern negativ wahrgenommen wird.

Literatur

  • [1] Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Bevölkerungsschutz (SKK) (2006): Wörterbuch für Katastrophenschutz und Bevölkerungshilfe. 2. überarbeitete Auflage. Köln. Verfügbar unter [2] [25.06.2014]




Autoren: Sabine Funk, Simon Runkel (IBIT GmbH)