Bitte beachten Sie: Diese archivierte Version des BaSiGo-Wikis wird nicht mehr aktualisiert. Das BaSiGo-Wiki wurde im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes 'Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen' (BaSiGo) entwickelt und stellt den Stand zum Projektende im Juni 2015 dar.

Gewaltpotential

Aus BaSiGo - Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen
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Veranstaltungsphasenübergreifend

Das Gewaltpotential im Kontext von Veranstaltungslagen ist – sowohl hinsichtlich des Publikums (Störung durch Zuschauerverhalten) als auch möglicher Störungen durch unbeteiligte Dritte – je nach Art der Veranstaltung für den Einzelfall zu bestimmen. So können sich schon bloße Abweichungen vom geplanten Veranstaltungsablauf (z.B. ein Künstler sagt kurzfristig seinen Auftritt ab) oder Gegenveranstaltungen (Besondere Lagen) in aggressiven Auseinandersetzungen niederschlagen. Potentiell kann auch der Alkoholisierungsgrad (Drogen- und Alkoholmissbrauch) der Teilnehmer die Ursache dafür darstellen, dass kleine Konflikte in Handgreiflichkeiten bzw. gewalttätigen Auseinandersetzungen münden. Der Schutz der Veranstaltung und ihrer Teilnehmer vor gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Teilnehmern und/oder zwischen Teilnehmern und unbeteiligten Dritten ist grundsätzlich eine akteursübergreifende Aufgabe und verlangt sowohl hinsichtlich der Vorbereitung als auch der Durchführung nach entsprechend abgestimmten Maßnahmen. Dabei kann insbesondere durch Maßnahmen der Teilnehmerkommunikation (siehe auch Kommunikationskonzept) deeskalierend auf gruppendynamische Prozesse eingewirkt werden. Zur Einschätzung der Gefährdungslage hinsichtlich des Gewaltpotentials der Veranstaltung sind insbesondere Erkenntnisse über die Besucherstruktur (z.B. rivalisierende Jugendgruppen, Rockerproblematik) maßgeblich. Zudem sind hier Erkenntnisse über geplante Gegenveranstaltungen (Besondere Lagen) relevant. Eine entsprechende Szenarienbildung kann mithin nur auf der Grundlage gesicherter Basisinformationen bzw. der Beurteilung der Lage erfolgen. Hinsichtlich der Intensität von Störungen aufgrund des Gewaltpotentials kann vor dem Hintergrund der möglichen Betriebsarten grundsätzlich zwischen den folgenden Ereignisformen unterschieden werden:

  • Zwischenfall: Hier geht es um die Bewältigung von Lagen, hervorgerufen durch Aktionen, die den normalen Veranstaltungsablauf nicht signifikant gefährden und grundsätzlich mit den am Veranstaltungsort befindlichen Kräften und Mitteln der polizeilichen und nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr bewältigt werden können. Beispielsweise sind diesbezüglich kleinere Schlägereien, vereinzelter Vandalismus oder das Abbrennen pyrotechnischer Erzeugnisse zu nennen. Gegebenenfalls. sollten mit Blick auf den letztgenannten Punkt entsprechende Verbote angedacht und durchgesetzt werden.
  • Not-/Krisenfall: Hier geht es um die Bewältigung von Lagen, hervorgerufen durch Aktionen mit dem Potential, den normalen Veranstaltungsverlauf signifikant zu beeinflussen. Derartige Störungen (z.B. Massenschlägereien, Kapitaldelikte) können unter Umständen mit den am Veranstaltungsort befindlichen Kräften und Mitteln der polizeilichen und nicht polizeilichen Gefahrenabwehr alleine nicht bewältigt werden. Zur Bewältigung der hier relevanten Lage sollten die vorgeplanten Krisenmanagementstrukturen aufgerufen werden.

Die mit dem der Veranstaltung innewohnenden Gewaltpotential einhergehenden Gefährdungen sollten im Sicherheitskonzept veranstaltungsspezifisch beschrieben und mit entsprechenden Maßnahmen (szenarienunabhängige Maßnahmenplanung; Umsetzung von Maßnahmenpaketen) hinterlegt werden.

Planungs-/Umsetzungsphase

Störungsabhängige Maßnahmen

In Abhängigkeit von der Beurteilung der Lage sollten vor dem Hintergrund des veranstaltungsspezifisch zu erwartenden Gewaltpotentials insbesondre die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Teilnehmer bei gewalttätigem Verhalten mit sofortiger Wirkung von der Veranstaltung auszuschließen und die entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen umzusetzen. Über die entsprechenden Maßnahmen sollten die Teilnehmer im Sinne der Prävention/Abschreckung bereits im Vorfeld der Veranstaltung informiert werden. Ebenso sollten in präventiver Perspektive Maßnahmen zur Verhinderung des Aufeinandertreffens rivalisierender Gruppen (z.B. bei Gegenveranstaltungen Besondere Lagen) sowie Kontrollen (z.B. an neuralgischen Punkten mit striktem Verbot von gefährlichen Gegenständen, Personen- und BTM-Kontrollen, gemeinsame Streifen von Security und Polizei) vorgesehen werden. Auch Verbotsmaßnahmen (Verbot von Erkennungszeichen rivalisierender Banden [Kuttenverbot], Verbot von Feuerwerkskörpern und Bengalos (Pyrotechnik), Einschränkung des Alkoholangebots, z.B. kein Ausschank nach 22:00 Uhr) sollten vorgeplant werden. Um Verletzungen durch Glasflaschen bzw. Schwerben möglichts auszuschließen, kann auch die Verfügung von Glasflaschenverboten angedacht werden.

Störungsunabhängige Maßnahmen

Unabhängig von den hier denkbaren Lageentwicklungen sollten Vorkehrungen für eine kontinuierliche Beobachtung und Bewertung der Gefährdungslage getroffen werden. Sind mögliche Störungen dabei als Notfall-/ Krisenlagen zu klassifizieren, ist es entscheidend, schnell und abgestimmt handeln zu können. In dieser Hinsicht sollten das akteursinterne sowie akteursübergreifende Informationsmanagement und die interne und externe Notfallkommunikation entsprechend vorgeplant und mit Maßnahmen hinterlegt werden. Da es hinsichtlich des Gewaltpotentials von Veranstaltungsteilnehmern und/oder unbeteiligten Dritten potentiell zu sicherheitsrelevanten Situationen kommen kann, sollten hinsichtlich der Teilnehmerkommunikation zur Information, Warnung sowie Kommunikation von Verhaltensregeln und -hinweisen vor allem folgende Maßnahmen vorgesehen werden:

  • Einsatz von Lautsprecherkraftwagen
  • Durchsagen von den Bühnen aus
  • Nutzung eines ggf. vorhandenen Veranstaltungsradios
  • Rundfunkdurchsagen
  • Nutzung Sozialer Medien (z.B. Veranstaltungs-App)
  • Durchsagen über Beschallungsanlagen, ggf. in diversen Sprachen
  • Internet (z.B. Homepage des Veranstalters)

Maßnahmenübergreifend sind dabei insbesondere die einzelnen Durchsagen abzustimmen. Dabei sollte auch verbindlich geklärt werden, bei welchen Anlässen welche Durchsagen von wem in welcher Sprache kommuniziert werden. In Abhängigkeit von der Lageentwicklung sollte außerdem bereits im Vorfeld der Veranstaltung eine Person mit Entscheidungskompetenz bestimmt werden, die anlassbezogen über einen möglichen (Teil-) Abbruch der Veranstaltung der laufenden Veranstaltung entscheidet. In diesem Sinne sind verbindliche Kriterien für die Veranlassung der genannten Maßnahmen bzw. Umsetzung des (Teil-)Abbruchs festzulegen (z.B. Abbruch in Anbetracht einer Bombendrohung). Auch die Maßnahmen der Räumung und Evakuierung des Veranstaltungsgeländes sind vorzuplanen.

Durchführungsphase

Grundlagen

Die Bewältigung einschlägiger Szenarien wird im Kontext von Veranstaltungslagen in Abhängigkeit von der Klassifikation des Ereignisses (Zwischen-, Not-, Krisenfall) grundsätzlich interorganisational angelegt sein (z.B. Koordinierungskreis, Krisenstab), so dass im Zuge der Entscheidungsfindung die Zuständigkeiten, Ressourcen und Kompetenzen aller an der Ereignisbewältigung beteiligten Akteure zu berücksichtigen sind. Dabei sind im Regelfall die entsprechenden szenarienorientierten Notfallpläne des Sicherheitskonzepts umzusetzen. Insgesamt sollte die Entscheidungsfindung zur Maßnahmenfestsetzung aufgrund des Gewaltpotentials im Rahmen eines vordefinierten Abstimmungsprozesses zwischen Polizei, Veranstalter, Genehmigungsbehörde etc. erfolgen. Getroffene Entscheidungen sowie Entscheidungsgrundlagen sollten im Zuge dieses Prozesses für die spätere Nachbereitung und Evaluation nachvollziehbar dokumentiert werden.

Prozessgestaltung

Damit im Ereignisfall abgestimmte, zielgerichtete und strukturierte Entscheidungen zur Lagebewältigung getroffen werden können, sollte sich der akteursübergreifende Entscheidungsprozesses zur Maßnahmenfestlegung aufgrund des Gewaltpotentials grundsätzlich an den Punkten (1) Informationserhebung zur Lagebilderstellung, (2) Beurteilung der Lage, (3) Entschlussfassung und (4) Maßnahmenumsetzung orientieren.

  1. Informationserhebung zur Lagebilderstellung
    Informationen zur Lagebilderstellung können während der Veranstaltung beispielsweise über den Streifendienst (Polizei, Sicherheits- und Ordnungsdienst), Verbindungsbeamte/-kräfte, Aufklärungs- und Raumschutzkräfte der Polizei, Anrufe bei den Leitstellen der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben oder veranstaltungseigene Notrufnummern sowie persönliche Meldungen/An-zeigen von Besuchern gewonnen werden. Zur aktiven Informationsgewinnung können – unter Berücksichtigung der jeweils einschlägigen Rechtslage – Luft- und/oder Videobilder sowie Internetquellen herangezogen werden. In jedem Fall sollte zur Erhebung von Informationen über Entwicklungen im Lichte des Gewaltpotentials eine kontinuierliche Beobachtung der vorherrschenden Situation gewährleistet werden.
  2. Beurteilung der Lage
    Die bei der Feuerwehr, Polizei etc. eingehenden bzw. erhobenen Informationen zur Lage aufgrund des Gewaltpotentials sollten zunächst im Rahmen einer akteursübergreifenden Lagebesprechung bzw. innerhalb der gewählten Gremienstrukturen (Sicherheitskreis, Koordinierungskreis, Krisenstab) verifiziert und hinsichtlich der zu erwartenden Gefährdungen (Inwiefern hat das Gewaltpotential einen direkten Einfluss auf den geplanten Veranstaltungsablauf?) klassifiziert werden. Dabei sind grundsätzlich die folgenden Ereignisklassifikationen (Notfallmanagement) denkbar:
    a) Aktionen im Sinne eines Zwischenfalls
    b) Aktionen im Sinne eines Not-/Krisenfalls
    Wenn aufgrund des Ereignisses eine außergewöhnliche Gefährdung für die Veranstaltungsteilnehmer oder Einrichtungen (Bühnen, Zelte etc.) zu erwarten ist (Not-/Krisenfall), die ein unverzügliches koordiniertes Handeln erfordert, sollte unmittelbar und anlassbezogen eine gemeinsame Lagebesprechung stattfinden, um eine akteursübergreifende Einschätzung der Lage vornehmen zu können und die Implementierung möglicher Maßnahmen zu prüfen.
    Die Beurteilung der Lage sollte in Abhängigkeit von der Betriebsart in den vordefinierten (Krisenmanagement-)Strukturen erfolgen (Betriebsarten). Das Prozedere und die entsprechenden Voraussetzungen sollten dabei in den szenarienorientierten Notfallplänen des Sicherheitskonzepts abgebildet sein.
  3. Entschlussfassung
    Zur Gewährleistung einer effektiven und effizienten Entscheidungsfindung und Koordination möglicher Maßnahmen sollten zwischen den Einsatzleitungen der relevanten Akteure Verbindungsbeamte/-kräfte ausgetauscht werden. Gegebenenfalls kann für die Veranstaltung eine gemeinsame Leitstelle eingerichtet werden.
    Wenn aufgrund des zu erwartenden Gewaltpotentials – hervorgerufen durch gewalttätige Aktionen – eine Gefährdung für die Veranstaltungsteilnehmer oder Einrichtungen (Bühnen, Zelte etc.) zu erwarten ist und die Veranstaltung nicht wie geplant weiter ablaufen kann, sind in Abhängigkeit vom avisierten Ausmaß der Gefährdung weitere Maßnahmen zu treffen. Hierzu zählen insbesondere die folgenden:
    • Einleitung von Fahndungs- und Ermittlungs- bzw. Strafverfolgungsmaßnahmen
    • Einlassstopp
    • Sperrmaßnamen (z.B. von Verkehrswegen, welche sich mit Fluchtwegen kreuzen oder für die Anfahrt von Fachdiensten und/oder Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben relevant sind)
    • Öffnung von Fluchttoren
    • Durchsagen über Beschallungsanlagen, ggf. in diversen Sprachen
    • Unterbrechung der laufenden Veranstaltung
    • Teilabbruch der laufenden Veranstaltung
    • Abbruch der laufenden Veranstaltung
    • Räumung des Veranstaltungsgeländes
    • Evakuierung der Besucher
      Die jeweils ereignisspezifisch beschlossenen Maßnahmen sollten zeitnah an die Medien kommuniziert werden, um anlassbezogen eine weitere Anreise von zur Veranstaltung zu reduzieren. Im Sinne der Nachbereitung und Evaluation sind die gefassten Entschlüsse zu dokumentieren.
  4. Maßnahmenumsetzung
    Zunächst sind die zur Umsetzung der getroffenen Entscheidungen vorgesehenen Kräfte (Security, Bühnenmanager, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) über die zu treffenden Maßnahmen zu informieren. Auch die Betreiber, Schausteller etc. sind ebenfalls über die von ihnen möglicherweise zu treffenden Maßnahmen (z.B. Schließung von Buden und Ständen) in Kenntnis zu setzen.
    Die Maßnahmenumsetzung sollte regelmäßig durch die Adressierung (Durchsagen an den Bühnen bzw. über die Beschallungsanlage) von Informationen an die Besucher im Rahmen der Teilnehmerkommunikation flankiert werden, wobei diese Informations-Maßnahmen bis zur Beseitigung der Störung aufrechtzuerhalten sind.

Nachbereitungsphase

Um das akteursübergreifende Szenarienmanagement zu überprüfen und die getroffenen Entscheidungen und umgesetzten Maßnahmen hinsichtlich der Abwehr szenarienspezifischer Gefahren für die Veranstaltungsteilnehmer sowie Einrichtungen auf dem Veranstaltungsgelände zu analysieren und auszuwerten, sind die jeweiligen Entscheidungsprozesse sowohl intern als auch akteursübergreifend nachzubereiten. Die Nachbereitung zielt letztlich im Kern darauf ab, mögliche Schwachstellen im Sicherheitskonzept zu identifizieren und Optimierungsansätze für zukünftige Veranstaltungen zu entwickeln.




Autoren: Deutsche Hochschule der Polizei, Fachgebiet Polizeiliches Krisenmanagement